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CHRONIK                                                                                             9


          wie so viele der Häftlinge, was durch die Diagnose verschlei-  geworden war“ (LASH-Akte Abt.761, Nr.13775). Maria Ni-
          ert werden sollte. Nach dem Verbrennen seines Leichnams   sick, damals 80 Jahre alt, lebte zu dieser Zeit bei ihrer in-
          im Krematorium des Konzentrationslagers Flossenbürg   zwischen verheirateten Tochter in Hamburg. Weil von dieser
          wurde auch die Asche von Johannes Nisick im Umfeld des   Familie noch Angehörige leben könnten, werden hier dazu
          Krematoriums „abgelegt“. Im Mai 1947 fand er seine letz-  aus Datenschutzgründen keine weiteren Angaben gemacht.
          te Ruhestätte im „Tal des Todes“ mit Aschepyramide und   Wir wissen nicht, ob in Melsdorf oder Quarnbek jemals je-
          Aschegruben der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.         mand an dem Schicksal dieser Landarbeiterfamilie Anteil
                                                               genommen hat, zumindest scheint es vor Ort keinerlei Erin-
                                                               nerungen an diese Menschen zu geben. Vielleicht kann die
                                                               ortsgeschichtliche Spurensuche zur Familiengeschichte „N.“,
                                                               die mich auch als Chronistin emotional sehr berührt, nun auch
                                                               Leserinnen und Leser für solche Schicksale sensibilisieren.
                                                                                                 Text: Gerlind Lind
                                                               Abbildungen:
                                                               Abb. 5 – Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig
                                                               (LASH) Abt. 64.1 Nr. 34888, Nisick, Walter, Patientenakte
                                                               Abb. 6 – Materialien aus dem Bundesarchiv – Heft 5, „Ge-
                                                               meinschaftsfremde“, Quellen zur Verfolgung von Asozialen
                                                               1933-1945, bearbeitet von Wolfgang Ayaß, Koblenz 1998
         Abb.8: Erinnerung an Johannes Nisick im digitalen Totenbuch
                                                               Abb. 7 – Datenbank des „Memorial Archives“ (MemArc)
          Im Quarnbeker Protokollbuch ist Maria Nisick auch noch im   Flossenbürg
          März 1937 als Fürsorgeempfängerin mit monatlich 24 RM   Abb. 8 – Digitales Totenbuch der KZ-Gedenkstätte Flossen-
          aufgeführt. Sie wohnte zu der Zeit aber bereits in Kiel in der   bürg
          Muhliusstraße 71 im St. Antoniusheim. Dieses katholische
          Haus wurde damals von Missionsschwestern aus dem Klos-  Literatur:
          ter Nette bei Osnabrück geführt. Im Reimershof sollten laut   Klausch, Hans-Peter: Endstation Hela? Die Sonderabtei-
          Quarnbeker Protokollbuch 1939 zwei andere Familien unter-  lungen der deutschen Kriegsmarine (1936-1945). Kleine
          gebracht werden. Im St. Antoniusheim arbeitete Maria Nisick   Schriftenreihe zur Militär- und Marinegeschichte, Band 26.

          gegen freie Unterkunft und Verpflegung. Diese Einrichtung   Bochum 2017
          war ihr bekannt, denn im Oktober 1935 hatte sie ihre Tochter
          Marie Henriette von der Stamper Schule dorthin abgemeldet.   Weitere Quellen:
          Nach der Zerstörung des St. Antoniusheims durch einen   Bundesarchiv in Berlin – zentrale Personenkartei der
          Bombenangriff im Mai 1944 lebte Maria Nisick ab August   Deut schen  Wehrmachtsauskunftstelle: BArch, B563-1

          1944 in verschiedensten Alten- und Pflegeheimen in Nord-  KARTEI/N.318/253
          rhein-Westfalen, später in Heimen in Hamburg. Nachdem   Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig:
          ihre beiden Söhne, die ihre Mutter offenbar monatlich mit   Abt. 64.1 Nr. 34888. Patientenakte
          5 bis 10 RM unterstützt hatten, 1937 bzw. 1943 eingezogen   Abt. 357.2 Nr. 4418. Justiz
          worden waren, blieb ihr nur noch die kleine Witwenrente.   Abt. 761 Nr. 13775. Entschädigungssache
          Sie war weiterhin auf öffentliche Fürsorge angewiesen, 1948   Abt. 355.25 Nr. 2449 Sammelakte Amtsgericht Kiel
          betrug ihre Witwenrente z.B. mo-
          natlich nur 26,30 DM.
          1958 stellte Maria Nisick einen
          Antrag auf Entschädigung, weil
          ihr Sohn Johannes in ein Konzen-
          trationslager gekommen und dort
          verstorben war. Der Anspruch der
          Mutter wurde im September 1961
          jedoch mit dem Bescheid des Lan-
          desentschädigungsamtes Schles-
          wig-Holstein abgelehnt, weil der
          Verstorbene „nicht als Gegner
          des Nationalsozialismus verfolgt
          und deshalb in ein KZ gebracht
          wurde, sondern weil er sich als
          Soldat gegen die Bestimmungen
          über den Umgang mit Kriegsge-
          fangenen vergangen hatte.“ Er galt
          nicht als Verfolgter, sondern war
          „als schwererziehbarer Soldat be-
          urteilt worden“ … „weil er bei der
          Sonderabteilung erneut straffällig
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