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gust Vagt geht hervor, dass in Quarnbek aus der Meldezeit dafür am nächsten Tag von der Lehrerin geschlagen wurde
der Familie Nisick keine Unterlagen mehr vorhanden waren. (Flemhuder Hefte 15, S.30).
Als Wehrpflichtiger wurde Johannes Nisick am 1. November Die Gruppe aus Altenwalde wurde am 6. September 1939
1937 der Marine-Artillerie-Abteilung in Kiel zugewiesen. der Gestapo Wesermünde (Bremerhaven) überstellt, an-
Diese war Teil der Landstreitkräfte der Marine mit der Auf- schließend in das KZ Sachsenhausen (nördlich von Berlin)
gabe der Sicherung der Küste und vor allem der Verteidigung eingeliefert (s. Klausch, S.37). Mit weiteren „Sondersolda-
der Häfen (Quelle: Wikipedia). In dieser Zeit seiner aktiven ten“ aus anderen Truppenteilen wurden sie dort in Block 20
Wehrpflicht wurde der Marineartillerist Johannes Nisick laut untergebracht (s.o. S.39). Diese SAW-Häftlinge – Abkürzung
einer Untersuchungsakte des Gerichts des 2. Admirals der für „Sonderabteilung Wehrmacht“ – wurden als „Politische“
Ostsee in Kiel am 8. Februar 1938 wegen Fahnenfl ucht und in Schutzhaft mit einem auf der Spitze stehenden roten Win-
wegen Diebstahls (vielleicht während der Flucht begangen) kel gekennzeichnet, ergänzt durch ihre jeweilige Häftlings-
zu einer Gesamtstrafe von 5 Monaten Gefängnis verurteilt – nummer – gequält mit mörderischen Arbeitsbedingungen
unter Anrechnung von 3 Wochen Untersuchungshaft. und mit „Strafsport“ (s. Klausch, S.38 f.).
Diese Strafe verbüßte er vom 8. Februar bis 19. Juni 1938 – Am 5. April 1940 ging von Sachsenhausen mit einer Stärke
unterbrochen durch drei Tage „geschärften“ Arrest, wie es in von 1000 Personen ein Transport in das KZ Flossenbürg bei
der oben genannten Akte heißt – im Wehrmachtsgefängnis in Weiden im Oberpfälzer Wald ab (Ankunft dort am 6. April
Torgau an der Elbe. Besonders Fahnenflucht und Diebstahl 1940) – unter ihnen „mindestens neun namentlich bekannte
sollen damals unter den Wehrpflichtigen stetig zugenommen SAWler …“ (Klausch, S.42). Auch in diesem KZ waren die
haben. Diese Delikte galten als besonders verwerfl ich, weil Arbeitsbedingungen für die Häftlinge im Wortsinn mörde-
sie die Pflichten gegenüber der „Volksgemeinschaft“ verletz- risch, vor allem in einem Steinbruch, in dem für die natio-
ten. Nach Verbüßung der Strafe wurde Johannes Nisick zur nalsozialistischen Prachtbauten der besonders harte Granit
Fortsetzung der Grundausbildung zur 1. Schiffs-Stamm-Ab- gebrochen wurde. Zu den von Klausch erwähnten nament-
teilung in Kiel entlassen, von da aber schon am 1. Juli 1938 lich bekannten SAW-Häftlingen gehörte der Altenwalder
in die Sonderabteilung der Kriegsmarine in Altenwalde bei Sondersoldat „Johannes Nisick (geb. 19.09.1915), der am
Cuxhaven abkommandiert. 27. November 1941 in dem nordbayerischen Konzentra-
Eine solche Sonderabteilung, eine Strafabteilung, diente der tionslager angeblich an Lungenentzündung gestorben ist …“
Absonderung und Disziplinierung unangepasster Soldaten. (s.o. S.42).
Diese Sonderabteilung der Kriegsmarine gab es in Altenwal-
de seit 1. Oktober 1937. „Für eine Versetzung in eine Sonder-
abteilung kamen solche Soldaten in Frage, >deren Verbleib
in der Truppe wegen ihrer gesamten Haltung, Einstellung
und Gesinnung unerwünscht< war sowie solche, die >wegen
unehrenhafter Handlungen gerichtlich bestraft< wurden …“
(Klausch, S.29). „Durch den Ausbildungs- und Dienstbetrieb
in Altenwalde sollten die Angehörigen der Marine-Sonder-
abteilung >zu unbedingtem Gehorsam< erzogen werden …“
(s.o. S.33). Die Härte dieser Disziplinierung wurde nach
Klausch durch das bekannte Erziehungsprinzip „Zuckerbrot
und Peitsche“ ergänzt. „Die >Peitsche< war allgegenwärtig
in Gestalt der drohenden KZ-Einweisung“ (s.o. S.34).
Eine Woche nach Ausbruch des zweiten Weltkriegs am 1.
September 1939 wurde die Sonderabteilung Altenwalde
aufgelöst (8.9.1939). „Etwa 40 >Altenwalder< kamen zur
1. Schiffs-Stamm-Abteilung nach Kiel; … Für 26 vormalige
Angehörige der Marine-Sonderabteilung Altenwalde stand
dagegen fest, dass sie an die Gestapo übergeben werden
sollten“ (Klausch S.35). Wenige Seiten später ist in diesem
Zusammenhang auch Johannes Nisick genannt! Dass er von
der erwähnten >Peitsche< getroffen wurde, hing sehr wahr-
scheinlich damit zusammen, dass er erneut straffällig gewor-
den war:
Am 19. Juli 1939 war er wegen militärischem Diebstahl und
militärischer Unterschlagung zu 1 Monat und 1 Tag Gefäng- Abb.7: ärztliche Bescheinigung
nis verurteilt worden – durch Amnestie erlassen bei Kriegs- Aus der Datenbank des „Memorial Archives“ (MemArc)
ausbruch, wie es in der LAS-Akte Abt.761, Nr.13775 heißt. Flossenbürg geht hervor, dass Johannes Nisick die Häftlings-
Seine Mutter meinte Jahre später, er habe damals polnischen nummer 1960 trug. Damit war das Individuum endgültig auf
Kriegsgefangenen Zigaretten und Esswaren zugesteckt. eine Nummer reduziert worden. In der offi ziellen Bescheini-
Solche Handlungen waren verboten, überhaupt jeglicher gung des SS-Standortarztes vom 27. November 1941 ist als
Kontakt zu diesen „rassisch Minderwertigen“ – sogar das Zeitpunkt des Todes 1.20 Uhr angegeben, als Todesursache
Sprechen. Das erfuhr auch ein Schüler in Stampe, der sich „acute Lungenentzündung“. Vielleicht ist der Sechsund-
mit einem polnischen Zwangsarbeiter unterhalten hatte und zwanzigjährige in dieser Nacht aber auch exekutiert worden,