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10 CHRONIK
Fundstück
Eine Reportage vom Flemhuder See anlässlich
der Eröffnung des Nordostseekanals 1895
Den Zeitgenossen im zu Ende gehenden 19. Jahrhundert galt
der Bau des Nordostseekanals als Jahrhundertereignis. Ent-
sprechend groß war die öffentliche Aufmerksamkeit, die dem
Wunderwerk zu Teil wurde. In Zeitungen, Illustrierten und
Magazinen, den führenden Massenmedien der Zeit, wurde
weltweit darüber berichtet. Da Aktualität schon damals über
die Qualität der Berichterstattung entschied, hatte sich der
Reporter von „Velhagen & Klasings Monatshefte[n]“, Hanns
von Zobelitz, schon einige Wochen vor der feierlichen Eröff-
nung am 20. Juni 1895 zusammen mit dem Illustrator Hans Nach dem Bau des Nordostseekanals trocken gefallenes Bett des
Eiderkanals, aus dem Kontext der Reportage ist zu vermuten, dass
Bohrdt nach Norden auf den Weg gemacht. Die kaiserliche
es sich um die Brücke bei Landwehr handelt. (Illustration von
Kanalkommission hatte in einer aufwändigen PR-Aktion ei- Hans Bohrdt zu der Reportage über den Nordostseekanal)
gens einen Dampfer sowie sachverständige Führung zur Ver-
fügung gestellt, und so konnte sich die Reisegesellschaft von
Das mächtige schöne Wasserbecken – es war schön – umfaß-
Holtenau aus auf den Weg durch den Kanal aufmachen. Be-
te ehedem 234 Hektare, und sein Spiegel lag sieben Meter
reits acht Jahre vorher, vor der Grundsteinlegung 1887, hatte
über der Ostsee, also auch über dem Kanal. Es blieb daher
Hanns von Zobelitz das Gebiet entlang der Kanaltrasse „zu
nichts anderes übrig, als den Wasserspiegel des ganzen Sees
Fuß und im Sattel nach allen Richtungen durchmessen“, wie
um das gleiche Maß zu senken. Wäre dies ohne weitere Vor-
er berichtet. So machen besonders seine Reflexionen zum
sichtsmaßregeln durchgeführt worden – um sich drastisch
Vergleich des alten Zustandes mit den aktuellen Reiseein-
auszudrücken, durch einfaches Ausfließenlassen – so würden
drücken von 1895 die Schilderung des Abschnitts zum Flem-
sich gleichzeitig auch die gesamten Wasserverhältnisse der
huder See lesenswert, denn sie vermittelt einen Eindruck da-
Umgebung auf weithin verändert haben, die Brunnen wären
von, wie von Zobelitz die gewaltige Veränderung der Land-
versiegt, die fruchtbaren Äcker ausgetrocknet. So griff man
schaft durch den Kanalbau beurteilte. In der im gesamten
denn zu dem Auskunftsmittel, den größten Teil des Sees mit
Deutschen Reich mit hoher Auflage erschienenen Reportage
einem Ringdamm zu umziehen und rückwärts desselben den
heißt es zum Flemhuder See:
Wasserspiegel in einer schmalen Rinne auf der alten Höhe zu
„[ … ] Ungefähr neun Kilometer westlich von Levensau öff-
erhalten, während er im eigentlichen, nun um reichlich ein
net sich links ein Seitenarm; wir biegen ein, den eigentlichen
Drittel verkleinerten See um sieben Meter gesenkt wurde.
Kanallauf auf kurze Zeit verlassend, denn es gilt hier eine der
Von der eigentlichen Höhe stürzt heute denn auch das über-
interessantesten und charakteristischsten Stellen des ganzen
schießende Wasser aus dem Ringkanal, in den verschiedene
Baus zu besichtigen – den Flemhuder See.
Zuflüsse münden, in den See hinab.
Aber trotz dieses stattlichen Wasserfalles habe ich mich doch
am Flemhuder See eines trüben Gefühls nicht erwehren kön-
nen. Sie war so schön, die blaue, von grünen Wiesen um-
schlossene Wasserfläche; das technische Kunststückchen,
das die Herren von der Kanalkommission hier vollbrachten,
aber hat dem stillen Weltenwinkel alle Poesie abgestreift. Ich
kann es den Anwohnern nicht verdenken, wenn sie schmol-
len, trotz der gewiß reichlichen Entschädigungsgelder und
trotz der prächtigen Aalleitern, die ihnen die Herren Baumei-
ster zuwandten. Trostlos kahl und öde schauen die hohen
Sandwälle des Ringdammes aus, und inmitten des Sees hebt
sich aus dem trüben Wasser eine riesige schwarze Modderin-
sel, die bisher keines Menschen Fuß zu betreten wagte.
Für den Kanal freilich hat der Flemhuder See eine hohe Be-
deutung. Nicht nur, daß er in seiner jetzigen Gestalt ein ge-
waltiges Wasserreservoir zur Speisung des Kanals bildet, ei-
ne Art von Ausgleichsbassin für die wechselnden Wasser-
stände, er ist auch während des Baues in ausgiebiger Weise
als Ablagerungsstätte für den ausgeschachteten Boden be-
nutzt worden. Fast neuntausend Kubikmeter Erde haben hier
neue Unterkunft erhalten. [ … ]“
Fundort: Hanns von Zobelitz: Der Nordostseekanal, in: Vel-
hagen & Klasings Monatshefte, Jg. 1894/95 II. Band, S. 449-
Wasserfall zwischen dem Ringkanal und dem sieben Meter tiefer
gelegten Flemhuder See (Illustration von Hans Bohrdt zu der 465.
Reportage über den Nordostseekanal) Karsten Dölger