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CHRONIK                                                                                              7


         Schieber zur Regulierung des Wasserstandes, aufgedreht und   wie es hier aussah als alles noch so neu war. Kehren wir kurz
         der Fisch quasi geschleust wurde, um ihm ein wenig näher   zurück in das Jahr 1912, die erste Erweiterung des Kanals
         zu kommen. Langsam kam der Fisch weiter nach oben und   war noch nicht ganz abgeschlossen, aber die Schleuse Stroh-

         somit besser in Sichtweite. Das Jagdfieber hatte sie jetzt alle   brück war fertig gestellt und auch das Diensthaus auf der
         gepackt. Es gab viele solcher Momente wie die mit dem gro-  Schleuse war bezugsfertig.
         ßen Fisch in der Schleuse. Das Leben der Geschwister glich   Der Mietvertrag zwischen dem Deutschen Reich, vertreten
         dem auf einem Abenteuerspielplatz, es gab so unendlich vie-  durch den kaiserlichen Kanalbauinspektor Hayßen in Holte-
         le Möglichkeiten, die Freizeit zu gestalten, und so konnten   nau, und dem Kanalbauarbeiter Carl Brügmann in Holm bei
         sie schon sehr früh schwimmen, rudern und wenn nötig die   Landwehr wurde am 14. Juni 1912 geschlossen. Damit trat
         Schleuse bedienen und wussten über die Gegend hier gut Be-  der erste Schleusenaufseher seinen Dienst an. Ein Foto zeigt
         scheid. Ihr Schulweg war etwas lang, aber über den Kanal-  ihn und seine Ehefrau auf der kleinen Brücke der Schleuse
         berg Richtung Landwehr waren die drei Kilometer nach   zu ihrem Einzug.
                                        Stampe in die Schule
                                        abwechslungsreich,
                                        und später hatten sie
                                        beide ein Fahrrad.
                                        Im 1. Stock des
                                        Diensthauses lebten
                                        ihre Eltern in sehr be-
                                        engten Verhältnissen,
                                        so jedenfalls würde
                                        man heute sagen, da-
                                        mals war das eher nor-
                                        mal. Im Sommer ging
                                        es zum  Torfstechen
                                        in das nahegelegene
                                        Holmer Moor und im
                                        Winter konnte man
                                        Schlittschuhlaufen auf
         Torfsoden im Holmer Moor                              Carl Brügmann mit seiner Frau 1912 am Tag des Einzugs in das
                                        dem Ringkanal.         neu erbaute Diensthaus
         Ihre Eltern hatten sich hier auf der Schleuse kennen gelernt
         und die Geschichte gleicht eher einem Drehbuch für einen   Obwohl in dem Mietvertrag von Birnen- und Apfelbäumen
         Film denn der Realität. Ihr Vater befuhr als junger Kapitän   sowie von Johannisbeersträuchern die Rede ist, sieht das
         den Nord-Ostsee Kanal, damals noch Kaiser-Wilhelm Ka-  Gelände auf dem Foto noch sehr kahl aus. Ein Blick in die
         nal, mit Ladung für Kiel und einen weiteren Ostseehafen, die   Bauzeichnung für das Haus macht deutlich, dass auch Platz
         Mutter vertrat als junge Frau ihren Vater auf der Schleuse. Es   für Holz und Kohlen, für eine Ziege und das Schwein vorge-
         war das Jahr, in dem der zweite Weltkrieg schon fast been-  sehen war. Am wichtigsten aber sicherlich der Dienstsitz mit
         det war, der Kanal als Versorgungsader aber genauso wie die   angrenzendem Telefon – Diensttelefon versteht sich.
         Werften und Häfen noch immer bombardiert wurden.      Die Miete betrug 60 Mark jährlich, ein Betrag, den man heute
         Um die Ladung und das Schiff vor den Bomben zu schützen,   schlecht ins Verhältnis setzen kann, weil nicht erwähnt wird,
         wollte der Kapitän mit seinem Schiff in der Schleuse bzw. im   was Carl Brügmann als Entlohnung erhielt. Sein Wirken hier

         Achterwehrer Schifffahrtskanal Zuflucht suchen. Doch die   auf der Schleuse ging über viele Jahre, bis er kurz vor seiner
         junge Frau erklärte ihm ziemlich selbstsicher, dass das Schiff   Rente seinen Neffen Bruno Brügmann ins Gespräch brach-
         für diese Schleuse zu breit sei, und so gab es einen Disput,   te. Der wurde dann, wie bereits erwähnt, im Juni 1936 sein
         bei dem jeder versuchte, den Anderen zu überzeugen. Der   Nachfolger.
         Kapitän ließ sich nicht überzeugen und so wurde der Ver-  Während dessen Amtszeit übernahmen die Töchter gerne
         such unternommen, das Schiff zu schleusen. Anfangs ging   die eine oder andere Tätigkeit auf der Schleuse und natürlich
         das noch recht gut, doch auf der Hälfte steckte das Schiff fest   auch in Haus und Garten. Es gibt Erzählungen aus dieser
         und hing in der Schleuse.                             Zeit, da musste zum Beispiel ein Schaf gerettet werden, weil
         Die Schleusenkammer ist an den Seitenwänden nicht ganz   es in die Schleuse gefallen war.
         senkrecht, sondern hat durch den Druck vom Erdreich eine   Gar nicht so einfach, die eine der Töchter sprang kurzer Hand
         „Taille“ und ist somit in der Mitte ein wenig schmaler. Pech   hinterher, krallte die Hände in die dichte Wolle des Schafes
         gehabt, die junge Frau hatte Recht behalten, der Kapitän das   und geleitete es schwimmend ans Ufer. Eine sicherlich nicht
         Nachsehen; aber so sind die Beiden sich näher gekommen,   gerade einfache Aufgabe. Auch von den sonntäglichen Ru-
         Ursprung einer neuen Familie, die mit der Schleuse so eng   dertouren, um Hechte zu angeln, oder vom Jagdglück gibt es
         verbunden ist.                                        Erzählungen, die mitunter an Jägerlatein erinnern.
         An den Seiten der Schleuse hat man das Erdreich entfernt,   So haben sie hier wohl die Kriegsjahre ein wenig besser
         um den Druck zu verringern. Man hat sie ausgekoffert. Auf   überstanden als so mache Familie in der Stadt. Jedenfalls
         alten Fotos ist noch der frühere Zustand zu sehen.    hatten sie dank Garten, Jagd und Fischfang in der Regel ge-
         Wenn man heute auf der großen Brücke die Schleuse Stroh-  nügend zu essen.
         brück überquert, mag der Eine oder die Andere sich fragen,   Im Jahr 1945 haben der Käpitän und die selbstbewusste
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