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                                                               über die Rechtssprechungspraxis geben könnten, sind im
                                                               Gegensatz zu den vollständig erhaltenen Protokollen aus der
                                                               Amtszeit seines Sohnes nicht erhalten. Allerdings ist eine
                                                               Schilderung der Großnichte Christensens, Bertha von
                                                               Cramm geborene Graba überliefert. Ihr Großonkel Caspar
                                                               Diderich sei von „kräftiger Natur“ gewesen, habe opulente
                                                               Mahlzeiten geliebt und sei wie sein älterer Bruder begeister-
                                                               ter Jäger gewesen. Er habe sich durch die Art ausgezeichnet,
                                                               wie er  Verbrecher zum Geständnis brachte. Bertha von
                                                               Cramm erinnert sich an mindestens einen Fall, in dem Chri-
                                                               stensen einen Verbrecher, als dieser zu ihm herein geführt
                                                               wurde, zunächst einmal zu Boden geschlagen und ihn dann
                                                               sofort zum Geständnis gezwungen habe. Einen anderen ha-
          Die Postkarte aus der Zeit kurz vor dem Zweiten Weltkrieg zeigt  be er „gleich wütend angeschrien: ´Wo büst Du herin koam-
          das helle, in der Häuserzeile in der Mitte liegende Wohn- und
          Kanzleihaus Caspar Diderich Christensens nach dem Verkauf  men?`, worauf prompt die Antwort erfolgte: ´Herr, dörch den
          durch die Erben an den Kaufmann Hagen (Dank an das Stadt -  Schosteen.“ Bertha von Cramms Vater, Carl Julian Graba,
          archiv Kiel)                                         habe immer behauptet, dass das ein „ganz unentschuldbares
                                                               Verfahren“ gewesen sei. Vielleicht entspringen diese Ge-
                                                               schichten aber auch einer gewissen Rivalität zwischen Chri-
          Als Berufsbezeichnung nennt das Volkszählungsprotokoll  stensen und Graba, denn Graba gehörte der nächsten Ge-
          „Polizeimeister und Senator, auch interimistisch konstituier-  richtshaltergeneration an und war nach dem Tod Christensens
          ter Verweser der Postgeschäfte“. Die Tätigkeit als Gerichts-  1831 dessen Nachfolger als Justitiar von Groß Nordsee.
          halter ist hier nicht erwähnt. Zum Haushalt zählten die Ehe-
          frau und deren unverheiratete Schwester, zwei Töchter von
          sieben und einem Jahr, der damals vierjährige Sohn Ernst
          Friedrich, der später die Quarnbeker Gerichtshalterschaft von
          seinem  Vater übernahm, ein „Postgevollmächtigter“, ein
          „Litzenbruder d. Post“ und zwei unverheiratete Dienstmäd-
          chen von 31 und 32 Jahren.

          Als Ratsherr und Polizeimeister zählte Christensen zu den
          Honoratioren in der Kieler Gesellschaft. Das Adressbuch von
          1821 verzeichnet ihn überdies als Gerichtshalter von 17 Gü-
          tern im Herzogtum Holstein. Das westlichste war Groß Nord-
          see, im Osten hatte er Gerichtstage in den Gütern Schmoel
          und Panker abzuhalten. Im Herzogtum Schleswig kamen
          weitere 13 Güter hinzu. Dienstreisen nach Noer und Sehe-
          stedt wurden hier erforderlich. Das Jahr 1805 brachte mit der
          neuen Gerichtsordnung eine wichtige Zäsur in der Praxis sei-
          ner Tätigkeit als Gerichtshalter. Hatten die Fürsten Reuß als
          Quarnbeker Gutsherrschaft und damit Inhaber der Gerichts-
          barkeit bis dahin auf der Grundlage der Freiwilligkeit einen
          mit der Befähigung zum Richteramt ausgestatteten Juristen
          für das Amt des Gerichtshalters bestimmt, so wurde mit der
          neuen Gerichtsordnung diese Berufung verpflichtend. Die
          Wahl wurde nunmehr vom Staat bestätigt und der eingesetz-
          te Gerichtshalter musste dem Staat gegenüber einen Amtseid
          leisten. Vom Gutsbesitzer konnte er danach nicht mehr ent-
          lassen werden. Mit dieser Reform erlangte der staatliche Ein-
          fluss ein deutliches Übergewicht in der bis dahin privaten
          Gerichtsbarkeit der adligen Güter.

          In jedem der Güter sollte alle vier Wochen ein ordentlicher
          Gerichtstag abgehalten werden. Auch wenn in der Gericht-
          sordung die Übernahme von Justitiariaten in mehreren Gü-
          tern ausdrücklich gewünscht wird, so werden die 300 pro
          Jahr fällig werdenden Gerichtstage in den dreißig von Caspar
          Diderich Christensen übernommenen Gerichtshalterschaften
          ihn vor unlösbare Probleme gestellt haben. Die Praxis zeigt
          dann auch, dass jährlich nur vier bis fünf Gerichtstage abge-  Titelblatt eines 1819 erschienen Buches Christensens mit einer
          halten worden sind. Gerichtsprotokolle, die nähere Auskunft  Sammlung von Beschreibungen von „Verbrechern“
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