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CHRONIK                                                                                            13


          Holzvogt Claus Hinrich Nehlsen, der mit seiner Frau und sei-  Tagelöhnern vorgeworfen wurde, ist in allen Fällen Nichter-
          nen fünf Kindern seit 1843 in der Kate am Kählenwald  scheinen zur Erntearbeit auf dem Gutsbetrieb. Zwischen ei-
          wohnte.                                              nigen Stunden und vier Tagen seien sie selbst und zwei ihrer
          Als ein weiteres Element zum Schutz gegen Einflussnahme  Ehefrauen einen bzw. 12 Tage nicht zur Arbeit erschienen. Zu
          des privaten Inhabers der Gerichtsbarkeit kann nach der re-  ihrer Rechtfertigung bringen vier von ihnen vor, sie hätten
          formierten Gerichtsordnung die Pflicht zur Benennung von  das eigene Korn einfahren müssen und die anderen beiden,
          Beisitzern gelten. Jeweils im Wechsel wohnten zwei Hufner  sie seien aus Krankheitsgründen körperlich dazu nicht in der
          – Bauern mit großen Höfen – den Sitzungen bei. Allerdings  Lage gewesen. Das zweiwöchige Fernbleiben seiner Frau be-
          hatten sie kein Stimmrecht. Ihre Bedeutung wird darin zu su-  gründet Hans Jasper damit, dass sie ein kleines Kind habe.
          chen sein, dass einerseits die Öffentlichkeit hergestellt war  Der Bestrafung entgingen alle Beschuldigten nicht. Franz
          und sie andererseits durchaus als Interessenvertreter der Gut-  Brux aus Rajensdorf muss sich sagen lassen, wer zu der Ar-
          suntergehörigen gelten konnten, denn als Zeitpächter standen  beit körperlich nicht in der Lage sei, dem hätte ja frei ge-
          auch sie in Abhängigkeit zur Gutsherrschaft. Ob diese Inter-  standen „zeitig seinen Contract zu kündigen“ oder einen
          essengleichheit allerdings auch bei arbeitsrechtlichen Aus-  Stellvertreter zu schicken. Auch Hans Japsers Begründung,
          einandersetzungen mit Tagelöhnern oder Insten galt, ist zu  seine Frau habe ein kleines Kind, wird entkräftet. Ist die Frau
          bezweifeln. Am 29. August 1848 waren die Hufner Jürgen  eines Tagelöhners ihrer häuslichen Pflichten wegen nicht in
          Hinrich Sell aus Melsdorf und Jürgen Friedrich Schmidt aus  der Lage, die kontraktlich festgelegten Arbeitstage zu erbrin-
          Rajensdorf als Beisitzer erschienen. Jürgen Hinrich Sell war  gen, habe ihr Mann eine Stellvertreterin zu stellen. Das Straf-
          49 Jahre alt und in zweiter Ehe mit der 26jährigen Margare-  maß beträgt in allen Fällen das Doppelte des Tageslohnes.
          the Cathrine Sell aus Flemhude verheiratet. Er hatte drei Kin-  Außerdem mussten die Kosten des Verfahrens getragen wer-
          der aus der ersten und eins aus der zweiten Ehe. Jürgen Frie-  den. Die empfindliche Geldstrafe werden die Betroffenen als
          drich Schmidt hatte erst ein Jahr zuvor die Rajensdorfer Huf-  weitere Erniedrigung durch den gemeinsamen Arbeitgeber,
          nerswitwe Hedwig Schütt geborene Sell geheiratet. Der 1846  der zugleich Verpächter und Obrigkeit war, aufgefasst haben.
          verstorbene Ehemann seiner Frau hatte die Zeitpachtstelle  So ist es nicht verwunderlich, dass die Stimmung während
          bereits von dem Vater seiner Frau, Claus Hinrich Sell, über-  dieses gerichtlichen Nachspiels der Instenunruhen spürbar
          nehmen können.                                       angespannt war. Dem sonst eher schreibfaulen Protokollan-
          An diesem Gerichtstag standen insgesamt elf Streitfälle zur  ten Hess schien der Wortwechsel zwischen dem Verwalter
          Verhandlung an. Überraschend ist, dass es in den ersten sechs  Hilmers und dem Tagelöhner Hans Jasper für so bemerkens-
          immer um das gleiche Vergehen ging. Die Tagelöhner Hans  wert, dass er ihn notierte. Hilmers hatte Jasper wegen seines
          und Claus Jasper, Hinrich und Hans-Jürgen Sell, Franz Brux  Fernbleibens zur Rede gestellt und schließlich gefragt, ob er
          und der Häuerinste Knaack wurden von dem 46jährigen  glaube, tun zu können, was er wolle. Darauf habe dieser ge-
          Gutsverwalter Hermann Hilmers beklagt, nicht zur Erntear-  antwortet, „ja, das glaube ich“. Jaspers Aussage klingt lapi-
          beit auf dem Gutshof erschienen zu sein und damit ihre  dar, sie hat aber einen weitreichenden programmatischen
          Kontrakte mit der Gutsadministration gebrochen zu haben.  Kern: Die im Pachtvertrag festgeschriebene Dominanz der
          Auch wenn sich im Protokoll kein direkter Hinweis dafür fin-  Gutsherrschaft wird grundsätzlich in Frage gestellt. Der Är-
          det, so liegt es doch nahe, angesichts der sich überschlagen-  ger der Tagelöhner über den Ausgang des Aufruhrs zeigt sich
          den Ereignisse des Jahres 1848 mit der Revolution in  auch darin, dass sich zwei von ihnen Protokollauszüge anfer-
          Deutschland und der Erhebung der Herzogtümer Schleswig  tigen ließen, offenbar mit der Absicht, gegen die Entschei-
          und Holstein gegen die dänische Herrschaft, über einen Zu-  dung Widerspruch einzulegen.
          sammenhang zwischen diesen Unruhen und der auffälligen                                   Der Gerichts-
          Häufung von Ungehorsam bei Quarnbeker Tagelöhnern und                                    tag war damit
          Insten nachzudenken. Spätestens mit der Teilnahme an der                                 noch nicht zu
          Wahl zur deutschen Nationalversammlung im Mai hatten                                     Ende. Fünf wei -
          auch die Insten und Tagelöhner, „die kleinen Leute“, im Gut                              tere   Klagen
          Anteil an den Ereignissen, und auch durch die Rekrutierung                               mussten noch
          von Soldaten waren die Gutsuntergehörigen direkt mit den                                 verhandelt wer-
          Vorgängen konfrontiert worden. Bereits am 23. April war das                              den. Zunächst
          erste Opfer der Kämpfe aus dem adligen Gut Quarnbek zu                                   musste der Ta-
          beklagen. Der 26jährige Knecht Hans Hinrich Thode aus Fe-                                gelöhner Jürgen
          gefeuer war in den Kämpfen bei Schleswig tödlich verwun-                                 Sell einräumen,
          det worden.                                                                              er könne die
          Instenunruhen hatten sich besonders in den adligen Gütern                                ihm während
          ausgebreitet. Als Ausgangspunkt des Aufbegehrens dieser                                  des letzten Ge-
          Pächter sehr kleiner Landstellen, die zur Arbeitsleistung auf                            richtstages auf-
          den Gütern vertraglich verpflichtet waren, gilt in Holstein                              gegebene
          das im Preetzer adligen Güterdistrikt gelegene Gut Rixdorf.                              Pflicht,  eine
          Die Drohungen auf Arbeitsniederlegung sprangen über auf                                  Sonderverein-
          die Güter Schönweide und Rantzau und von hier im Juli 1848                               barung   zwi-
          auf die Güter westlich Kiels. Lohnerhöhungen und die Ver-                                schen der Guts-
                                                               Fürst Heinrich LXIV. von Reuß-Köstritz j. L.
          besserung der Arbeitsbedingen und Pachtverhältnisse waren  (1787-1856) war vermutlich als Besitzer des  administration
          das Ziel der Forderungen. Das Vergehen, das den Quarnbeker  Gutes auch Inhaber der Gutsgerichtsbarkeit  und ihm zu be-
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