Page 8 - Quarnbek 44
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          Eine Jagd auf Bettler und Landstreicher
                                                               Gutes Marutendorf, Landstallmeister von Wibel, schildert im
          Im November des Jahres 1794 war der Gutsinspektor der  April 1796 die Auswirkungen der Armutskrise folgender -
            Güter Warleberg und Quarnbek, Carl Christian Martens, in-  maßen: Auf den beiden „Paß- und Frachtstraßen“, die durch
          tensiv mit der Vorbereitung einer Geheimaktion beschäftigt:  das Gut Marutendorf führten, könne man ständig durchzie-
          einer Jagd auf Bettler und Landstreicher. Für den 26., einem  hende Bettler und Landstreicher beobachten. Der Gutsbesit-
          Mittwoch, war die Suche nach „herumstreifendem losem Ge-  zer wünscht, dass „Bettler und Landstreicher, die mit zuneh-
          sindel“ in den Gütern Warleberg und Quarnbek wie im gan-  mender Dreißtigkeit ihr Wesen sogahr im Mordbrennen trei-
          zen Land geplant.                                    ben, gäntzlich vertilgt und diese sich immer fortpflanzende
          Jagden auf Bettler und Landstreicher wurden damals regel-  Menschen-Classe zu einer nützlichen Betriebsamkeit genö-
          mäßig durchgeführt. Der dänische König Christian VII. hatte  thigt werden möge.“
          am 27. November 1790 eine Verordnung erlassen, in der es  Die Stigmatisierung und Diskriminierung der Armen in den
          heißt, es sei zur Gewährleistung der Sicherheit der Unter -  wiedergegebenen Texten ist charakteristisch für das ausge-
          tanen notwendig, eine Jagd auf Bettler durchzuführen. Auch  hende 18. Jahrhundert. Ein beredtes Beispiel dafür gibt der
          das Militär sollte die  Aktion unterstützen. Die örtlichen  Marutendorfer Gutsbesitzer, der mit der Verwendung des Be-
          Obrigkeiten sollten die Jagden organisieren. Alle Schlupf-  griffs der „Bettler-Streifjagd“ die Aktionen in die Nähe von
          winkel, Krüge, Wirtshäuser oder andere mögliche Verstecke  Treibjaden nach Hasen rückt. Große Teile der wachsenden
          sollten aufgesucht und durchkämmt werden. Das „ergriffene  Mittel- und Unterschichten waren durch Alter, Krankheit,
          Gesindel“ solle vernommen und gefangen gesetzt werden.  Missernten und Kriege permanent bedroht, in Armut abzu-
          Erstmals aufgegriffene Bettler sollten „ernsthaft bestraft“  sinken. Versuche, das Problem durch die Einrichtung von Ar-
          werden, Wiederholungstäter mussten mit Zuchthaus- oder  menkassen zu lösen, brachten keine durchgreifende Besse-
          „Karrenstrafen“ rechnen. Zu Karrenstrafen verurteilte Bettler  rung. Da die Lebensweise der nicht sesshaften Bevölkerung
          mussten Zwangsarbeit beim Festungsbau leisten und wurden  aber so gar nicht der Werteordnung der ständischen Gesell-
          z. T. an die Karren geschmiedet                      schaft in der Zeit des Absolutismus entsprach, kam es zu den
          Der Erlass des dänischen Königs ist Ausdruck einer schwer-  beschriebenen Verfolgungen. Nicht die sozialen Verhältnisse,
          wiegenden sozialen Krise. Claus Rixen, Lehrer in Groß-  sondern individuelle Charakterschwäche, Arbeitsunlust und
          Flintbek, hat für das Jahr 1787 einen Bericht über die Situa-  die mangelhafte Bereitschaft sich in die festgefügte Ordnung
          tion in seinem Dorf gegeben. Er habe ein Jahr hindurch die  einfügen zu wollen, wurden als Ursachen der Probleme aus-
          vorbeiziehenden Bettler sorgfältig gezählt und festgestellt,  gemacht. Ein Unterschied wurde lediglich zwischen den Ar-
          dass an manchen Tagen zehn bis zwölf und im Sommer 1786  men aus Ortschaften der Herzogtümer Schleswig und Hol-
          monatlich 140 und im Winter bis zu 160 an seiner Tür um  stein mit Heimatrecht und damit Versorgungsansprüchen und
          Brot gebeten hätten. „Es waren auch Fremde, reisende Hand-  landesfremden Bettlern gemacht. Diese Fremden galten von
          werksburschen, verabschiedete Soldaten, Leute, die Schiff-  vornherein als Kriminelle.
          bruch gelitten hatten oder abgebrannt waren, darunter; allein  Bei der Warleberger Bettlerjagd im November 1794 wurden
          die meisten waren Einwohner in unserer Gemeine und aus  22 Personen, in Quarnbek acht Personen aufgespürt. Die Ar-
          benachbarten Oertern; einige Alte und Kinder, der größte  men wurden in den Gütern festgesetzt, von dem eigens aus
          Theil arbeitsfähige Leute, die sonst durch Tagelohn und  Kiel angereisten Gerichtshalter Christensen vernommen und
          mittelst ihres Handwerks sich nährten und jetzt arbeitslos  schließlich in den folgenden Tagen über die Gutsgrenzen hin-
          sind.“ Als Ursachen der Armut nennt Rixen Preissteigerun-  weg in die Nachbargüter und von dort in die vorgeblichen
          gen bei Lebensmitteln und Arbeitslosigkeit. Der Besitzer des  Heimatorte „transportiert“, das heißt abgeschoben. Mit dem






























          Herrenhaus in Marutendorf von Landstallmeister v. Wibel errichtet. (Gemeindearchiv Quarnbek)
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