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14 CHRONIK
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Die Quarnbeker Gutsglocke – ein Stück Geschichte „im Verborgenen“
In den Erinnerungen Quarnbeker Gutsarbeiter spielt die
Gutsglocke immer noch eine zentrale Rolle. Sie begleite-
te mit ihrem Schlagen den Arbeitsalltag auf dem Hof. Hö-
ren kann man diese Uhrglocke inzwischen nicht mehr und
aus der Nähe gesehen haben sie bisher nur wenige. Hoch
oben hängt sie auf der Hofseite des Quarnbeker Torhauses
im Rundgiebel zwischen den beiden rundbogigen Fenster-
segmenten. Sie ist mit dem Werk der weiter unten gut sicht-
baren Uhr verbunden.
Als im September 2003 Maurer am Torhaus arbeiteten, war
das für Erwin Petersen aus Quarnbek die Gelegenheit, end-
lich ein Foto von der Gutsglocke, die auch für sein Arbeits-
leben von Bedeutung gewesen war, zu bekommen. Er reichte
einem der Maurer seinen Fotoapparat auf das Gerüst hinauf
- und verschaffte damit uns allen die Möglichkeit, sich nun
von der Uhrglocke ein Bild zu machen. Nach Erwin Petersen war die Quarnbeker Gutsglocke mit der
Die Bronzeglocke ist mit mehreren zeittypischen Zierfriesen Uhr für alle, die auf dem Hof arbeiteten, ein Stück „Herz und
aus Akanthusblättern geschmückt und oben mit einer Um- Seele“ im Tageslauf. Damit die Glocke pünktlich anschlug,
schrift versehen. Auf dem Foto ist davon links die Jahres- mußte die Uhr jeden Morgen mit Seilen aufgezogen werden.
zahl 1746 und rechts der Name DIEDERICI zu erkennen. Lief sie danach zu schnell, wurde das Uhrpendel mit Huf-
Nach einer Arbeit von H. von Rumohr über das Quarnbeker eisen beschwert. Ließ das Tempo im Laufe des Tages nach,
Torhaus (1971) lautet der Text insgesamt: Di(e)derici Stral- wurden diese wieder abgenommen. Die Glocke schlug Tag
born me fudit Lubecae Anno 1746. Demnach wurde diese und Nacht alle halbe Stunde und war nicht nur in den Quarn-
Glocke 1746 von Dietrich Strahlborn in Lübeck gegossen. beker Katen gut zu hören. Eigene Uhren hatten die wenig-
Damit aber steht sie in direkter Beziehung zu der kleineren sten, deshalb richtete man sich nach dem Glockenschlag der
der beiden Läuteglocken, die im Glockenstuhl der Flemhu- Uhr im Quarnbeker Torhaus. Pünktlichkeit auf die Minute
der Kirche hängen. wurde vor allem bei der Arbeit erwartet; aber auch die Haus-
Diese kleinere Glocke war 1730 abgenommen und umgegos- frauen achteten darauf. Wenn die Glocke Mittag schlug, hat-
sen worden, um sie im Klang der damals gerade erneuer- ten diese für die zur Mittagspause heimkommenden Männer
ten großen Glocke anzupassen. Nach H. Kobold (Flemhu- die Kartoffeln fertig auf dem Tisch.
der Hefte 1, S.37) trägt sie seitdem die Inschrift: Mich goss Die ersten, die von der Glocke geweckt wurden, waren die
Lavrentz Strahlborn in Lvbek Anno 1730. Melkfrauen und Melker, deren Arbeit gegen 4.30 Uhr be-
Die Quarnbeker Gutsglocke und die Flemhuder Läuteglocke gann. Dann folgten die Pferdeknechte, die das Futter für die
stammen demnach beide aus der Glockengießerei Strahl- Tiere vorbereiteten. Wenn sich schließlich die Tagelöhner für
born in Lübeck, wobei für diesen Artikel nicht geklärt wer- die Feldarbeit in der Stube links im Durchgang des Torhauses
den konnte, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis versammelt hatten, unterbrach der Gutsverwalter nach Er-
die beiden Glockengießer Lavrentz (Lorenz) und Diederici win Petersen das Schwätzen meistens mit den Worten: „Het
(Dietrich) gestanden haben. Bekannt ist aber, dass Glocken haut!“ (die Glocke hat geschlagen) und begann danach, die
aus der Gießerei Strahlborn, vor allem von Lorenz, an vie- Leute für die Hof- und Feldarbeit einzuteilen. Im Pferdestall
len Orten in Schleswig-Holstein zu finden sind, aber auch in hieß das entsprechende Kommando mit dem Glockenschlag:
Mecklenburg und in Dänemark. „Optöm!“ (aufzäumen) und die zehn Gespanne zu vier Pfer-
den für die Feldarbeit wurden fertig gemacht.
Vom 1. März bis zum 15. Oktober wurde über 50
Wochenstunden gearbeitet von 6 bis 18 Uhr mit
zwei Stunden Pause für Frühstück und Mittag-
essen. Feierabend war ursprünglich auf dem Feld,
der Weg zurück zum Gutshof zählte nicht zur
Arbeitszeit. Im Winter reduzierte sich nach Er-
win Petersen die Arbeitszeit auf 81/2 Stunden.
Weil nach Arbeitsstunden bezahlt wurde, war in
der Winterzeit besonders schnell „Ebbe im Porte-
monnaie“. Sommers wie winters gehörten aber
der Glockenschlag und der Blick zur Hofuhr über
Generationen zum Arbeitsalltag in Quarnbek. Die
Glocke ist stumm, die Zeit diktieren ganz andere
Uhren, viel präziser - aber oft auch unerbittlicher
als das „Het haut!“.
Gerlind Lind