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10 CHRONIK
Der Chirurgus Franz Gosch 40 Reichstaler und 16 Schillinge berechnete Gosch für seine
Dienste. Auch wenn er für die Medizin seinerseits Auslagen
Das Volkszählungsverzeichnis für das adlige Gut Quarnbek gehabt haben wird, war das eine beträchtliche Summe, be-
aus dem Jahre 1803 enthält für den Flemhuder Kätner Franz denkt man nämlich, dass damals eine Kuh etwa 10 Reichsta-
Gosch eine überraschende Notiz: Der Protokollant des Ver- ler kostete. Die Aufstellung ist beispielhaft für ähnliche er-
zeichnisses hat hier nicht nur festgehalten, dass Gosch – wie haltene Quittungen mit vergleichbaren Beträgen in den fol-
viele andere Kätner im Gut – eine kleine Landstelle in Zeit- genden Jahren. Die ärztliche Fürsorge für die Leibeigenen
pacht von der Gutsherrschaft übertragen bekommen hatte, er war aus der „Konservation“ abgeleitet. Das bedeutet, dass die
bezeichnet ihn außerdem als „Doctor“. Wenn die Flemhuder Gutsherrschaft im Interesse der Aufrechterhaltung der wirt-
Familien, die in dem Verzeichnis vor und nach ihm genannt schaftlichen Stabilität des gutswirtschaftlichen Systems und
werden, auch sein soziales Umfeld bildeten, waren seine des patriarchalischen Charakters der Herrschaft neben der
Nachbarn „Käthner mit Land“, „Tischler ohne Land“ oder wirtschaftlichen auch die gesundheitliche Grundversorgung
„Käthner mit Land und Schuster“. Der Geschichte dieses der Leibeigenen übernahm. Für Quarnbek und Warleberg
Flemhuder Kätner-Doktors soll hier nachgegangen werden. war also der Besitzer, der Reichsgraf Heinrich XLIII. Reuß,
zuständig für die Konservation.
Das Volkszählungsverzeichnis gibt Auskunft zu seinen fami-
liären Verhältnissen. Franz Gosch war 1803 64 Jahre alt und Das wirft die Frage nach der Qua-
verwitwet. Mit in seinem Haushalt, einer Kate also, lebten lität der ärztlichen Leistung auf.
die beiden unverheirateten Töchter, die 25jährige Elisabeth Die Quittungen sind alle von einer
Sophie und die 24jährige Catharina Margarete, außerdem der Hand geschrieben und zeigen,
22jährige Sohn Casper und der 25jährige Tagelöhner Paul dass Gosch Lesen und Schreiben
Wiese. Es war also für die damalige Zeit kein ungewöhn- konnte. Im 17. und bis weit ins 18.
licher Kätnershaushalt. Jahrhundert hinein, waren Hand-
werks-Chirurgen, sogenannte
Einen wichtigen Hinweis auf die Lebensumstände enthalten Wundärzte, für die Heilkunst zu-
die Gutsquittungen. In der gemeinsamen Verwaltung für die ständig. Sie waren der Zunft der
Güter Warleberg und Quarnbek in Warleberg führte der Guts- Barbiere zugeordnet. In der drei-
verwalter Martens penibel Buch über alle Ausgaben der Gut- jährigen Lehrzeit wurden prakti-
skasse. Aufbewahrt wurden auch die Quittungen, die die sche Kenntnisse im Aderlassen,
Abb. 1: Besteck des Chi -
Empfänger der Auszahlungen ausstellten oder unterschrie- Schröpfen, Klistieren, Blutegelset-
rurgen Busse von 1838,
ben. Die älteste erhaltene von „F. Gosch“ in Flemhude aus- Elbschifffahrtsmuseum zen, Amputieren und im Versorgen
gestellte Quittung trägt als Datum den 1. Mai 1782. Gosch Lauenburg (Foto Wolf- von Wunden vermittelt. Nach Ab-
notiert: „Auf Befehl Sr Excellence des Herrn Reichs-Grafen gang Brandenburger) schluss der Lehre folgten für die
von Reus habe folgende Patienten besucht und curirt.“ Franz Gesellen die Wanderjahre. Erfolge
Gosch war also Chirurgus – so wird er im Flemhuder Ster- dieser Handwerks-Chirurgen basierten auf Erfahrung, Beob-
beregister bezeichnet – und von der Gutsherrschaft der Güter achtung und traditioneller Überlieferung, die gegenüber wis-
Warleberg und Quarnbek für die ärztliche Versorgung der senschaftlicher Bildung im Vordergrund standen. Da aber
Leibeigenen angestellt. Die auf der Quittung notierten Pa- Misserfolge nicht ausbleiben konnten, war der Ruf des Be-
tienten mit den behandelten Krankheiten geben einen kleinen rufsstandes eher zweifelhaft. Wissenschaftlich gebildete Me-
Einblick in das Tätigkeitsfeld eines Gutsarztes im ausgehen- diziner hatten für die Versorgung auf dem Land fast keine
den 18. Jahrhundert. Diese Angaben sollen hier wiedergege- Bedeutung, allerdings hatte die Zahl der studierten Ärzte im
ben werden, auch wenn sie aus dem Bereich des Gutes War- 18. Jahrhundert soweit zugenommen, dass sie sich nun auch
leberg stammen. Goschs Rechtschreibung wurde beibehalten. in Kleinstädten niederließen. In den Amtsartikeln für das
Amt der Wundärzte und Barbiere vom 10. April 1782 war die
„F. Lass in Alt-Wittenbek ein Kind sein Arm zerbrochen. Zulassung der Chirurgen eingeschränkt worden. Bei ernste-
ren Fällen sollten besser ausgebildete Fachleute zugezogen
Ein Medtgen daselbst von einem giftigen Wurm gebißen, werden. Ob diese Vorschrift in den Gütern Holsteins einge-
dieselbe innerlich und äußerlich was gebraucht. halten wurde, ist aber zweifelhaft, denn die Güterdistrikte
waren von jeder Medizinalaufsicht ausgenommen.
F. H. Jönck in Tödtendorf sein Sohn daß Beyn zerbrochen.
F. Bartels in Neu-Wittenbeck sein Sohn die Lende zerbrochen.
Dessen Tochter den Anfall gehabt; dieselbe 2 mahl aderlas-
sen und Medicin gebraucht.
F. J. Grothkop der Kuhhirte den Kopf zerspalten, welcher von
die Scheune gefallen, dem selben Innerlich und äußerlich ge-
braucht, auch die Brust und Rücken zu Schande gefallen, und Abb. 2: Klistierspritze – Ende 18. Jh. – Material: Zinn und Holz
23×2,7 cm – mit freundlicher Genehmigung der Bildersammlung,
habe ihnen 12 mahl besucht, indesen er daher schlecht ge-
Department und Sammlungen für Geschichte der Medizin der
wesen“ Medizinischen Universität Wien