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12 CHRONIK
Agrarreform und Aufhebung der Leib - wurde. Die auf dem Hoffeld erzeugten Feldfrüchte und die
Pacht der Gutsmeierei ergaben die wichtigsten Einkünfte des
eigenschaft im adligen Gut Quarnbek Gutsherren. Der Gutsbetrieb selbst verfügte nur über wenige
eigene Arbeitskräfte, meist Handwerker. Die Arbeitskräfte
mussten von den Bauern der Gutsdörfer gestellt werden. An-
stelle einer Pacht schickten die Bauern Knechte, Mägde und
Pferdegespanne zur Arbeit auf das Hoffeld. Diese Arbeits-
kräfte wurden eingestellt, ernährt und unterhalten, nur um
diese sogenannten Hofdienste erbringen zu können. Zur Sta-
bilisierung dieses Systems wurde seit dem 16. Jahrhundert
das Instrument der Leibeigenschaft entwickelt, die Bewohner
der Dörfer also dauerhaft an das Gut gebunden.
Die leibeigenen „Gutsuntergehörigen“ waren Personen min-
deren Rechts. Es gab das „Schollenband“, also keine Freizü-
gigkeit, unbeschränkte Dienstpflicht von Kindheit an und
keine Heirat ohne Genehmigung durch die Gutsherrschaft.
Da diese Genehmigung meist nur erteilt wurde, wenn der je-
Abb 1: Im Thüringischen Staatsarchiv in Greiz wird der Schrift - weilige Partner oder die Partnerin aus demselben Gut stamm-
verkehr zwischen dem Quarnbeker Inspektor Martens und dem te, führte das zu einer starken Häufung von nur wenigen Fa-
Gutsherren Graf Heinrich XLIII. Reuß aufbewahrt
miliennamen. Im Gut Quarnbek waren das die Nachnamen
Sell, Schütt, Reimer, Thode, Wriedt, Brux, Jasper und Albert
Der im Thüringischen Staatsarchiv in Greiz aufbewahrte in z. T. variierenden Schreibweisen. Nur wenn die Leistung
Schriftverkehr zwischen dem Quarnbeker Gutsinspektor der Hofdienste sichergestellt war, wurde die Genehmigung
und dem Gutsherren Heinrich XLIII. Graf Reuß enthält ei- zur Aufnahme einer Tätigkeit außerhalb des Gutes gestattet,
ne Denkschrift, in der in wenigen Zeilen schlaglichtartig was aber nicht etwa eine Auflösung des Leibeigenschaftsver-
die soziale, rechtliche und wirtschaftliche Lage der Bewoh- hältnisses bedeutete. So fertigte Gutsinspektor Martens am 5.
ner des adligen Guts Quarnbek im 18. Jahrhundert sichtbar September 1796 eine Aufstellung aller Quarnbeker Leibei-
wird. genen an, die sich damals außerhalb des Quarnbeker Gutes in
In dem Schriftstück heißt es, Dienst befanden. Wir hören von Elisabeth Grothkopp, die be-
am 17. Mai 1777 habe der Ge- reits seit vier Jahren bei Pastor Strack in Westensee im Dienst
heime Conferenzrath Jean stand, von Johann Gehl, der seit drei Jahren „in der Marsch“
Henri Desmercières – ein Vor- als Zimmermann tätig war oder von Elisabeth Sell, die bei ei-
gänger Heinrichs XLIII. als nem Kieler Kaufmann in Diensten stand. Auch auf Nachbar-
Gutsherr von Quarnbek – den gütern wurde „gedient“. Insgesamt enthält die Liste zehn Na-
„herumirrenden Jäger Jürgen men.
Sell“, dessen Ehefrau Bartje Im Rahmen der vom Gutsbetrieb bestimmten Vorgaben wirt-
Poppen und alle „gegenwärti- schafteten die Hufner (Bauern) in den Gutsdörfern Rajens-
gen und künftigen Kinder“ aus dorf, Stampe und Melsdorf durchaus selbstständig, und es
der Leibeigenschaft entlassen. war möglich, dass diese als Leibeigene bescheidene Gewin-
Die persönliche Freiheit sei ne machen konnten. Traf ein Unglück die Wirtschaft, dann
allerdings nur unter der Bedin- wurde der Hufner durch die „Konservation der Untertanen“
Abb 2: Graf Heinrich XLIII. gung gewährt worden, dass die vom Gutsbetrieb gestützt. So enthält die Quarnbeker Jahres-
Reuß wurde 1806 in den
Fürstenstand erhoben, Familie niemals wieder den rechnung von 1781 den Hinweis, dass dem Hufner Hans
(geb. 1752 in Kopenhagen, Bezirk der herrschaftlichen Wried in Stampe im Mai eine Kuh ersetzt worden war, die an
gest. 1814 in Mannheim) Güter würde betreten dürfen. der Viehseuche verendet war. Die Konservation lag im Inter-
Bei Zuwiderhandlung behielt esse der Gutsherrschaft und konnte alle Bereiche umfassen,
sich der Gutsherr vor, den Freibrief zu widerrufen, sie also die die Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Hufen und damit
wieder als Leibeigene zu behandeln. Ebenso wurde jede An- der Arbeitskraft der Knechte und Mägde betraf: Bau und In-
stiftung „anderer Unterthans zur Desertion“ mit dem Wider- standhaltung von Gebäuden, Feuerung, Ersatz von Nutztie-
ruf des Freibriefes belegt. Die Gründe und Umstände des ren, auch Arztkosten.
Vorgangs werden nicht genannt und bleiben im Dunkeln. Er- Initiativen zur Reform des gutswirtschaftlichen Systems sind
sichtlich ist damit aber, dass Quarnbek zu den Gebieten des in Holstein spätestens seit 1739 diskutiert worden, als Hans
Herzogtums Holstein gehörte, in denen die Gutsbewohner in Rantzau auf Ascheberg das Hoffeld seines Guts Stück für
Leibeigenschaft lebten, und dass diese von den Gutsherren Stück parzellierte und die Leibeigenen mit Erbpachtstellen
als notwendiger Teil des gutswirtschaftlichen Systems ver- auf dem Hoffeld ansetzte. Auch wenn damit nicht die Entlas-
standen wurde.. sung aus der Leibeigenschaft verbunden war, so wirkte der
Diesem System entsprechend bestand das Gut als Wirt- wirtschaftliche Erfolg als Vorbild. Als der gottorfische Be-
schaftseinheit aus zwei eng miteinander verwobenen Teilbe- amte Caspar von Saldern 1768 in direkter Nachbarschaft
reichen, dem Gutsbetrieb mit dem Hoffeld und den Gutsdör- Quarnbeks, im Gut Kronshagen, die Parzellierung der Do-
fern mit dem Dorf- oder Bauernfeld, das von den Leibeige- mäne und die Aufhebung der Leibeigenschaft für 1038 Guts -
nen gemeinschaftlich in Feldgemeinschaft bewirtschaftet untergehörige durchsetzte, sorgte das im Gut Quarnbek für