Page 8 - Quarnbek 01
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          Chronistin auf Spurensuche                           den beim Betrachten der Fotos vielleicht Erinnerungen an
                                                               Kriegs­ und Nachkriegsjahre kommen.
          In einem Quiz zur Gemeindegeschichte könnte eine der Fra­  Die Fluchtbewegung aus dem Osten hatte im Herbst 1944
          gen lauten: „Was haben die beiden Fotos mit der unten ab­  be gonnen und steigerte sich ab Januar 1945 zur Katastrophe.
          gebildeten Grafik zu tun?“ Antwort: „Auch das Holzhaus in   Auch in den Schulen Stampe und Flemhude wurden bereits
          Stampe und das sogenannte Schloß in Quarnbek waren   im  Februar  1945  die  ersten  Kinder  aus  den  Ostgebieten
            etliche Jahre für Flüchtlinge und Heimatvertriebene das erste   Deutschlands aufgenommen. Nach Schleswig­Holstein
          Zuhause in unserer Gemeinde.“ Äußerlich erinnert an diesen     kamen im Vergleich zu den anderen Provinzen Deutschlands
          gepflegten Gebäuden nichts mehr an diese schweren Jahre;   die meisten Flüchtlinge, überwiegend aus Ostpreußen und
          doch manchen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger wer­  Ostpommern.
                                                               Bis zum Herbst 1946 hatte die Bevölkerungszahl in Schles­
                                                               wig­Holstein bezogen auf das Jahr 1939 um 67% zugenom­
                                                               men. Die Hauptlast der damit verbundenen Probleme hatten
                                                               die Dörfer und Kleinstädte zu tragen, weil hier die Kriegs­
                                                               schäden gering waren. Noch 1950 war z.B. im Kreis Rends­
                                                               burg, zu dem auch Quarnbek gehörte, der Anteil der Flücht­
                                                               linge  fast  so  hoch  wie  der  der  Einheimischen,  nämlich
                                                               95,6%, was noch einer mittleren Position entsprach im Ver­
                                                               gleich zu anderen Kreisen.
                                                               Das Schicksal der Flüchtlinge hatte überall massive Auswir­
                                                               kungen auch auf die ortsansässige Bevölkerung. Besonders
                                                               das enge Beieinanderhausen in Jahren äußerster materieller
                                                               und seelischer Not vieler Menschen führte zu Spannungen,
                                                               zumal als beide Seiten erkennen mußten, daß die Flüchtlinge
                                                               nicht nur vorübergehende Gäste sein würden, sondern als
                                                               Neubürger seßhaft werden mußten.
                                                               Verstärkt wurden die Probleme des Zusammenlebens auch
          Herkunft der Flüchtlinge in S-H (nach Ch. Degn)      dadurch, daß die einheimische  Bevölkerung schon vorher
                                                               immer wieder Menschen nicht nur aus dem mehr und mehr
                                                               kriegszerstörten Kiel als Evakuierte hatte aufnehmen müs­
                                                               sen, denn in Kiel hatte der erste Großangriff bereits im Juli
                                                               1940 stattgefunden. Aber auch die Abwürfe von Bomben im
                                                               Umkreis von Kiel führten zu Angst und Not in Quarnbek,
                                                               zumal es hier keine Bunker gab und manchmal nur ein Erd­
                                                               loch notdürftig Schutz gab. Da fiel es nicht leicht, auch noch
                                                               das unendliche Leid der ankommenden Flüchtlinge wahrzu­
                                                               nehmen.
                                                               Und doch gelang es den Menschen auch in unserer Gemein­
                                                               de im Laufe der Jahre, trotz aller Notlagen und Probleme, die
                                                               ehemals  Fremden  als  Mitbürger  zu  akzeptieren  bzw.  die
                                                               neue Umgebung als Ersatzheimat anzunehmen.
                                                               Jetzt, rund 60 Jahre nach Evakuierung, Flucht, Vertreibung
                                                               und Nachkriegsnot, ist es kaum noch möglich, die Älteren
          Das Quarnbeker „Schloß“                              der sogenannten Erlebnisgeneration über diese Zeit zu be­
          (Aufn. H. Kay, 1992)
                                                               fragen. Aber unter uns leben noch viele, die diese schwieri­
                                                               gen Jahre als Kinder oder Jugendliche erlebt haben, sei es als
                                                               Flüchtlinge oder als Einheimische. Weil die Erinnerungen
                                                               auch dieser damals noch jungen Zeitzeugen es wert sind, vor
                                                               dem Vergessen bewahrt zu werden, möchte ich als Mitauto­
                                                               rin unserer Chronikreihe „Flemhuder Hefte“ solche persön­
                                                               lichen Erinnerungen für ein neues Heft festhalten. Deshalb
                                                               bitte ich die Quarnbeker Bürgerinnen und Bürger ganz herz­
                                                               lich um Mithilfe beim Sammeln von Erinnerungsmaterial,
                                                               damit diese problematischen Jahre in der Geschichte auch
                                                               unserer Gemeinde nicht vergessen werden.
                                                               Bitte meinen Sie nicht, Sie hätten nichts Besonderes
                                                                 beizutragen. Jeder kleine Baustein des Erinnerns ist wichtig,
                                                               um diese Zeit lebendig werden zu lassen. Rückmeldungen
                                          Alte Landstr. 23,    bitte an Gerlind Lind, Alte Landstraße 25 in Stampe, Telefon
                                          Stampe (Aufn.        0 43 40 / 86 57
                                          O. Haar, 2001)                                             Gerlind Lind
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